things: reviews
Eigenleben der Dinge
Karl Heinz Roschitz, Kronenzeitung, 07.03.2018
Es sind ganz gewöhnliche Alltagsgegenstände, die diesmal Hauptdarsteller der Performance werden: „Things“, der neue Abend der Choreographin Saskia Hölbling, stellt im Semperdepot alles Unauffällige, vom Sonnenschirm bis zum Reifen, in den Mittelpunkt. Ein 80-minütiges Schau-Spiel mit zelebrierter Achtsamkeit.
Surrend bläst der Ventilator über eine devastierte Mülllandschaft. Was da alles verstreut liegt! Doch alles kann zum Darsteller, ja Hauptdarsteller werden. Mehr noch: Jedes Ding hat das Zeug zum Fetisch, zum Kampfobjekt und zur Ikone.
Nur weniges wird im Laufe des Abends tatsächlich so verwendet, wie es in der Betriebsanleitung steht. Doch darf alles in einem Fluss von Transformationen mitmachen. Es sind wundersame Bilder, die da entstehen: Weniger um die einzelne Bedeutung geht es als um die Gesamtwirkung.
Und die Tänzer? Auch sie wirken mitunter wie die Dinge, die sie bugsieren, bearbeiten und betreuen: Es sind weniger mit Eigenpersönlichkeit ausgestattete Darsteller als austauschbare Mitspieler, die dann und wann sogar zum Objekt werden, das vorgeführt und eingekleidet wird.
Das alles hat der österreichische Komponist Wolfgang Mitterer mit bruchstückhafter Musik unterlegt. Da fliegen einem Zitate bekannter Werke von Strawinski bis Tschaikowski um die Ohren, um dann wieder in kleine Partikel zu zerfallen. Zuletzt: herzlicher Applaus!
Triumph der Paradiesvögel in ihrer Parallelwelt
Helmut Ploebst, Der Standard, 02.03.2018
Messies sind ausgesprochen inspirierende Personen. Sie sammeln Dinge in ihren Wohnungen, Häusern oder Gärten, die anderen als wertloses Gerümpel erscheinen. Eine heikle Leidenschaft, die zu einem echten Leiden werden kann. Dass sie dies nicht müsste, zeigt die Wiener Choreografien Saskia Hölbling derzeit mit ihrem neuen Stück "things" im Semperdepot der Akademie der bildenden Künste.
Was sich da an Zeug auf einem Tanzboden häuft, bildet ein kunstvoll arrangiertes Chaos. Hölbling und ihre vier Tänzer Ardan Hussain, Leonie Wahl, Jan Jakubal sowie Anna Hein machen kein Hehl daraus, dass sie diese Landschaft aus Plastikplanen, Schläuchen, Sturzhelmen, Behältern, Koffern, Säcken et cetera beherrschen. Echte Messies hingegen lassen sich von ihren höllischen Wucherungen aus Chaos und Ordnung überwältigen. Das macht sie zu tragischen Helden.
Erinnerungen an "Citizen Kane"
Citizen Kane wurde, wie sich in Orson Welles' Film von 1941 herausstellt, zum Messie auf der Suche nach dem Symbol seines verlorenen Kinderglücks – einem Schlitten der Marke Rosebud. Ein ähnlicher Holzschlitten findet sich auch unter Hölblings Dingen. Das könnte eine Anspielung auf "Citizen Kane" sein. Zumal die schöne Anfangsszene des Stücks in ein Licht getaucht ist, das die Bühne in ein beinahe perfektes Schwarzweißbild verwandelt und Wolfgang Mitterers mit diesem Bild einsetzende Komposition an eine Filmmusik erinnert.
Was sich aber dann ereignet, führt weit weg von dieser verführerischen Assoziation, die vielleicht ohnehin nur Wirbelbildungen in den Erinnerungshalden des Betrachters geschuldet ist. Es führt etwa zu Ann Liv Youngs unheimlichem Schwarzweiß in ihrer "Elektra" beim Steirischen Herbst 2014. Und weiter zu Alain Platels "tauberbach" bei Impulstanz in demselben Jahr: Dort bewegten sich die Tänzer ebenfalls in einer Halde aus Abfallstoffen. Ausufernde Dingakkumulationen wie in Isabelle Schads "California Roll" (Tanzquartier 2005) sind ein wiederkehrendes Motiv in der Choreografie der vergangenen zwei Jahrzehnte.
Mensch vs. Mahlstrom der Dinge
Sehr schön mitzuerleben war das auch bei Vera Manteros Stück "Poetry and Savagery", das den Wienern 1999 von dietheater Künstlerhaus gezeigt wurde. Denn da begannen die Tänzer – wie jetzt auch in Hölblings "things" – sich das sie umgebende Zeug an die Körper zu drapieren und in so geschaffener phantastischer Kostümierung umherzustolzieren wie Paradiesvögel aus einer Parallelwelt. Hier wie da ermöglicht die Poesie den Triumph des Menschen über den Mahlstrom der ihn umschwirrenden Dinge. Das poetische Spiel kann ihn davor bewahren, von diesem Wirbel in den Hades der Depression gezogen zu werden.
Tanz der Dinge
Verena Franke, Wiener Zeitung, 02.03.2018
Eine Rodel, ein Autoreifen, ein Stück Abflussrohr, ein Pokal, ein Koffer, Stofffetzen, ein roter Kübel . . . Dinge des Alltags, denen man, hat man sie einmal irgendwo verräumt, keine weitere Beachtung schenkt. Im geordneten Chaos und beleuchtet in melancholischem Schein hat die Performerin und Choreografin Saskia Höbling diese "Things" im Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste mitten im Raum positioniert.
Leonie Wahl, Anna Hein, Ardan Hussain und Jan Jakubai sinnentleeren diese Dinge nun - und ordnen ihnen neue Funktionen zu: Ein pinker aufblasbarer Pelikan wird an die Leine genommen, ein langer blauer Schlauch zum Bindeglied zwischen den beiden Performern, der rote Kübel ein zusätzlicher Akteur in einem Duett. Die Performer scheinen angestrengt in der Neuordnung und dem Erkunden der möglichen weiteren Funktionen dieser Alltagsdinge. Teils kommt das Gefühl von Wehmut auf, wenn die Musikcollage klassische Klänge aufgreift. Doch diese Emotion weicht, und nach rund 40 Minuten übersättigt die Szene den Zuschauer. Die mitunter naiven Erkundigungen werden über Gebühr ausgedehnt.
Hölbling hat konzeptionell eine sehr spannende Betrachtungsweise entwickelt.
Assoziative Reise mit Müll
Sandra Schäfer, Kulturfüchsin, 03.03.2018
Sanft streicht der Wind über eine Anhäufung von Gegenständen. Abdeckplanen, Folien, Autoreifen, Seile und Plastikkübel von schwachem Licht beleuchtet – darunter vier Körper, die sich langsam aus dem vermeintlichen Gerümpel schälen. In „Things“, der neuesten Produktion der von Choreografin Saskia Hölbling gegründeten DANS.KIAS Company, laden vier TänzerInnen zu einer assoziativen Reise durch unterschiedliche (Lebens)Welten.
Vom dystopischen Endzeitdrama, in der die Menschen alten Krempel mit neuem Zweck erfüllen, zur drogengeschwängerten Techno- Party bis hin zu einer Theateraufführung in einem Irrenhaus reichen die Gedankenfäden, die man als Zuseher in rund 80 Minuten zu spinnen beginnt. „Kostüme“ und Identitäten wechseln dabei fließend. Ebenso wie die Klänge von Komponist Wolfgang Mitterer, der mit Versatzstücken und Reminiszenzen diverser Genres arbeitet. Archaisches trifft auf Science Fiction, Esoterisches auf Sakrales.
Auf einem klanglichen Fleckerlteppich formiert sich aus einem mutmaßlichen Jäger und Wasserträger ein Liebespaar in skulpturaler Umarmung. Aus Lumpensammlern werden Feldherren, die mit ihren Untertanen zu einem Prozessionszug aufbrechen und gegen Ende zu einem einzigen Organismus verschmelzen – die Grenzen zwischen Mensch und Ding scheinen aufgelöst – irgendwann wabert ein symbiotisches Wesen aus Mensch und Müll durch den Raum.
Ein Raum, der sich erneut für Tanzproduktionen wie geschaffen präsentiert.